Hatten wir das Thema Brennweite nicht gerade im Abschnitt über Perspektive? Und hieß es da nicht, Brennweite und Distanz gehören zu den wichtigsten Werkzeugen um die Wirkung einer Aufnahme zu gestalten?
Genau! Die perspektivische Wirkung, die durch Variieren des Blickwinkels, bewusster Wahl der Brennweite und angemessener Distanz beeinflusst wird, ist durch andere Gestaltungsparameter kaum mehr zu topen.
Doch Brennweite und Distanz sind nicht nur ausschlaggebend für die Perspektive, sondern beeinflussen auch die Schärfe maßgeblich – in Form der Schärfentiefe. Wenn es etwas gibt, das die Bedeutung der Perspektive für die Bildwirkung noch topen kann, dann ist das die Schärfentiefe.
Es gibt zahlreiche Kriterien, die für gute Fotos zusammenwirken müssen. Unsere Betrachtungen konzentrieren sich hier auf jene Kriterien, die sich direkt mit der Kamera beeinflussen lassen – und den Objektiven. Wir haben vier Hauptkriterien identifiziert: Perspektive, Schärfe, Belichtung und Komposition. Während die Belichtung praktisch den geringsten kreativen Spielraum bietet – eine optimale Belichtung ist eine optimale Belichtung – bieten Perspektive und Schärfe großen Gestaltungsspielraum.
Während man zum Ändern der perspektivischen Wirkung das Objektiv wechseln muss, sofern man kein Zoomobjektiv hat, lässt sich die Schärfentiefe mit Hilfe der Blende praktisch bei jedem Objektiv beeinflussen. Grund genug also, sich mit der Schärfentiefe ausreichend zu befassen.
Schärfentiefe
Neben der Perspektive ist die Schärfentiefe ein ganz essenzielles, bildgestalterisches Mittel. Man kann die Frage nach der Schärfentiefe mit einem einfachen ›entweder/oder‹ auf den Punkt bringen: Will ich den Hintergrund scharf oder unscharf?
Tatsächlich scharf können mit einer Kamera immer nur Bildbereiche in einem ganz bestimmten Abstand zum Sensor abgebildet werden. Das ist exakt der Bereich, auf den fokussiert – also scharf gestellt – wird. Bereits der Bereich unmittelbar davor und direkt dahinter wird schon nicht mehr ganz scharf abgebildet.
Doch auch wenn theoretisch gesprochen immer nur ein ganz dünnes Scheibchen in der Tiefe vor der Kamera gestochen scharf abgebildet wird, so wird in der Regel ein bedeutend größerer Bereich direkt vor und hinter dem fokussierten (schärfsten) Punkt noch immer als scharf empfunden. Mit abnehmender Distanz zur Kamera auf der einen Seite und zunehmender Entfernung auf der anderen Seite jedoch fällt die Unschärfe immer deutlicher aus.
Nahpunkt und Fernpunkt |Auf dem Weg in die Richtung des Fotografen gibt es einen Punkt, ab dem dann die Abbildung von einem Betrachter nicht mehr als scharf empfunden wird, sondern als unscharf. Diesen Punkt bezeichnet man als Nahpunkt. Vom fokussierten Punkt weiter weg in der Ferne gibt es ebenso einen Punkt, ab der die Schärfe so gering wird, dass ein Betrachter sie als unscharf empfindet. Diesen Punkt bezeichnet man als Fernpunkt. Der Bereich zwischen Nahpunkt und Fernpunkt ist die sogenannte Schärfentiefe.
Zwar ist der Übergang vom scharfen zum unscharfen Bereich fließend, dennoch lässt sich ein relativer Knackpunkt zwischen dem was als scharf und dem was als unscharf wahrgenommen wird berechnen und festlegen.
Freistellen | Über Distanz und Brennweite beeinflussen Sie die perspektivische Wirkung eines Bildes. Mit der Schärfentiefe haben Sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Aufmerksamkeit des Betrachters. Durch steuern der Schärfentiefe können Sie Objekte vor einem Hintergrund herausheben, oder mit dem Hintergrund verschmelzen lassen. So arbeitet der Fotograf gerne mit einer kurzen Schärfentiefe um den Hintergrund einer Person unscharf zu bekommen, damit sich alle Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Modell lenkt – man spricht vom Freistellen.
Diese Illustration stellt dar, wie man sich kurze Schärfentiefe vorstellen muss, könnte man sie von der Seite sichtbar machen. |
Mit kurzer Schärfentiefe lässt sich der Hintergrund hinter dem Hauptdarsteller eines Motivs unscharf abbilden. Das hat den großen Vorteil, dass ein beispielsweise unruhiger Hintergrund sich nicht mehr wichtig macht und nicht vom Hauptmotiv ablenken kann. |
Kurze Schärfentiefen durch offene Blenden sind vor allem bei Porträts ein gutes Mittel um das Modell vom Hintergrund freizustellen. |
Die kleine Serie unten zeigt wie gut es funktioniert mit Hilfe selektiver Schärfe die Aufmerksamkeit zu lenken. Obschon sich der rote Kegel auf Grund seiner aktiven Farbe in den Vordergrund drängt, so fällt die Hauptaufmerksamkeit doch immer auf jenen Kegel, der gerade am Schärfsten abgebildet ist.
Schärfentiefe eignet sich vorzüglich dazu die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ein bestimmtes Objekt oder einen bestimmten Punkt zu lenken. |
Nutzen Sie die Möglichkeit der selektiven Schärfe auf bestimmten Bereichen und der Unschärfe für unwichtige Bildelemente um in Ihren Bildern auch inhaltlich eine klaren Fokus zu setzen. Es ist Teil Ihrer kreativen Freiheit in der Fotografie. Setzen Sie sie bewusst ein.
Anders sieht es hingegen meist in der Landschaftsfotografie aus. Vor allem dann, wenn man nach dem Konzept Vordergrund–Mittelgrund–Hintergrund gestaltet entscheidet man sich für eine große Schärfentiefe, damit sowohl Nähe als auch Mitte als Ferne möglichst scharf auf das Bild kommen.
Diese Illustration visualisiert eine hohe Schärfentiefe. Der Fotograf fokussiert auf das Modell, der Bereich davor und dahinter verliert an Schärfe, aber nur gering. |
Bei hoher Schärfentiefe sind die Bereich hinter de fokussierten Objekt scharf abgebildet – das ist wichtig, wenn man zum Beispiel eine Landschaft mit ins Bild bringen will. Oft stört es aber auch, wie bei der Abbildung von Personen, weil sich der Hintergrund wichtig macht und vom Modell ablenkt. |
Bei dieser Aufnahme sollte das Schilf vorne links (Vordergrund), der gefrorene Teich (Mittelgrund) und die Bäume hinten (Hintergrund) möglichst scharf auf das Bild. Dazu habe ich Blende ƒ13 eingestellt. |
Darum geht es in diesem Kapitel im Wesentlichen: Welche Mittel kann ich einsetzen um die Schärfentiefe in einer Aufnahme kreativ zu beeinflussen? Habe ich ein Motiv, das ich vom Hintergrund freistellen möchte? Möchte ich die Aufmerksamkeit mit selektiver Schärfe lenken? Oder sollte ein möglichst weiter Bereich von ganz nah bis weit entfernt so scharf als möglich abgebildet werden.
Zweimal derselbe Wasserspeier mit unterschiedlicher Schärfentiefe. |
Der Inhalt dieser Online-Fotoschule ist in erweiterter Form auch als Buch erhältlich: »Kreativ fotografieren – Digitalfotografie verständlich erklärt« Books on Demand, 1. Auflage Oktober 2011; 240 Seiten, in Farbe, Hardcover; ISBN: 9783842373938; Link zu Amazon Link zu Books on Demand Ladenpreis: 44,90 (D); Ladenpreis E-Book: 35,99 (D) Mehr Info und ein kostenloses Demokapitel. |
Kommentar verfassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.